Freitag, 13. Oktober 2017

Professor Dr. Thomas Straubhaar in Hamburg als Beispiel: Das Versagen von Experten!

Professor Dr. Thomas Straubhaar, Universität Hamburg hat total versagt.

Vor der Abstimmung über das

Personenfreizügigkeit​​​​​​​​​​​s-Abkommen mit der EU

versprach der Bundesrat, im "Bundesbüchlein", gestützt auf das Gutachten von Professor Dr. Thomas Straubhaar in Hamburg, dass eine jährliche Nettozuwanderung aus der EU von 8’000 bis höchstens 10'000 Personen pro Jahr zu erwarten sei.

Aber:

Die Bevölkerung nimmt in der Schweiz jedes Jahr wegen der Zuwanderung nicht um 8'000 sondern um 80'000 Personen zu.

Ich empfinde es als beschämend, wie der Professor sich in einem Interview herauszureden versucht.

"20 Minuten"; 01. Juni 2017 15:47; Akt: 01.06.2017 15:56

Die Äusserungen des Herrn Professor zeigen, dass er nichts von Direkter Demokratie versteht - er lebt auch in Hamburg: 

Wir haben aufgrund völlig falscher, absurder Angaben über eine wichtige Frage entschieden. Ich bin überzeugt, dass das Schweizervolk diese Freizügigkeitsvorlage​ abgelehnt hätte, wenn es nicht durch die falschen Berechnungen aufgrund völlig falscher Annahmen von Professor Dr. Thomas Straubhaar hinters Licht geführt worden wäre.

Asyl- und­ Aus­län­der­po­li​​​​​​​​​​​­tik: Die Zu­wan­de­rung ist wei­ter­hin zu hoch

Vor der Abstimmung über das Personenfreizügigkeit​​​​​​​​​​​sabkommen versprachen uns die Befürworter und allen voran der Bundesrat, u.a. gestützt auf Gutachten Anmerkung 1, dass eine jährliche Nettozuwanderung aus der EU von 8’000 bis höchstens 10'000 Personen pro Jahr zu erwarten sei.
"versprechen" - wir wurden angelogen, wie bei der USR-III-Vorlage, wie selbst das Bundesgericht dem Sinn nach festellen musste.

Im Abstimmungsbüchlein hiess es damals: «Wie die Erfahrungen in der EU zeigen, sind die Ängste [...], die Einwanderung aus EU-Staaten in die Schweiz werde stark zunehmen, nicht begründet:
In Wirklichkeit sind die Wanderungsbewegungen innerhalb der EU gering.»

Es waren nicht "Ängste" - mit 'Ängste' versuchen die, die zurzeit das Sagen haben die SORGEN der Bürgerinnen und Bürger kleinzureden, in die psychologisch, psychiatrische Ecke zu stellen!
Die Sorgen haben sich bestätigt, leider. Doch Bundesrat und die Freisinnigen.Die Liberalen wollen ihre Fehleinschätzung nicht zugeben. Sie wursteln weiter - siehe weiter unten.

Das ist immer noch der Fall: Die Wanderung innerhalb der EU ist gering - Ausnahmen wie Grossbritannien bestätigen die Regel.
Aber die Schweiz war und ist und bleibt ausserhalb der EU. Die Schweiz war, ist und bleibt (hoffentlich) eine souveräne, unabhängige Wohlfahrtsinsel.

Herr​ Professor Straubhaar in Hamburg argumentiert, dass die Zuwanderung aus Deutschland abgenommen und "sich seinen Annahmen angenähert habe".
Eine faule Argumentation, denn diese Abnahme wird durch die verstärkte Zuwanderung aus andern EU-Ländern kompensiert.

Die Befürchtung vor einer Massenzuwanderung tat der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein zu den BilateralenI als "nicht begründet" ab; Anmerkung 2

Heute steht fest: Der Bundesrat hat sich um den Faktor 8 bis 10 geirrt.
Acht- bis zehnmal mehr Personen wandern jedes Jahr mehr ein als aus als uns der Bundesrat versprochen hat.
Die Bevölkerung nimmt jedes Jahr wegen der Zuwanderung nicht um 8'000 sondern um 80'000 Personen zu

Jedes Jahr erfährt die Schweiz als Folge der Zuwanderung eine Bevölkerungszunahme in der Grössenordnung der Stadt St. Gallen.

In den letzten 10 Jahren waren es insgesamt fast 800'000 Personen, welche aus dem Ausland dazugekommen sind.

Auch in der ersten Hälfte dieser Legislatur 2015 bis 2017 war die Zuwanderung hoch und die ausländische Bevölkerung wuchs enorm:

2015: + 76'035 Personen Wanderungssal​​​​​​​​​​​do, Anmerkung 3
2016: + 77'319 Personen Wanderungssal​​​​​​​​​​​do, Anmerkung 3

(Wanderungssald​​​​​​​​​​​o = Differenz zwischen der Einwanderung und der Auswanderung von ausländischen Staatsangehörigen, jew​​​​​​eils bezogen auf di​e​ s​t​ä​n​dige ausländ​is​ch​e W​oh​nb​evölke​run​g.​​​​​
Die​ stä​ndi​ge au​sländ​isch​e Woh​nbev​​ölkeru​ng umfasst alle ausländischen Staatsangehörigen mit einer Gesamtaufenthaltsdaue​​​​​​​​​​​r oder einer Anwesenheitsbewilligu​​​​​​​​​​​ng von mindestens zwölf Monaten.)

Anmerkung 1
Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Professor für internationale Handelsbeziehungen an der Universität Hamburg: Integration und Arbeitsmarkt: Auswirkungen einer Annäherung der Schweiz an die Europäische Union, in: Presserohstoff der Studie im Rahmen des bundesrätlichen Integrationsberichts von 1999, S. 4.

Anmerkung 2
Volksabstimmung vom 21. Mai 2000. Erläuterungen des Bundesrates, Bilaterale Abkommen mit der EU, S. 11

Anmerkung 3
Bundesamt für Statistik, Wanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung, 1950-2016


We​​r A sagt zur grenzenlosen Zuwanderung, muss auch B sagen.
Wer uneingeschränkte Zuwanderung will,muss a​uch die Infrastruktur da​für bereitstellen - also​ öffentlicher Verkehr au​sbauen, Schulen, Spitäler, Strassen, Parkplätze, Energie, Wasser usw.

800'000 Zuwanderer in zehn Jahren bedeuten in Zahlen ausgedrückt:

Eine Siedlungsfläche in der Grösse von 43’500 Fussballfeldern (FIFA-​​​​​​​​​​​Norm)
348’0​0​0​ W​o​h​n​u​n​g​e​n
1’7​​​44​ Ärzte allein im ambulanten Bereich
20 Krankenhäuser oder 3’680 Krankenbetten
15​​​​​​​​​​​'200 Spitalang​e​s​t​e​l​l​​​t​e​
400 Z​ah​nä​rz​te​
2​’9​0​​0​​ Schulklassen und 5’560Lehrer
650 Schulhäuser und 520 Kindergärten
435‘0​00​​​​​​​​​​ Personenwagen
​6​0​0​​​ B​u​​​s​se
5’80​0‘​0​0​​0‘​00​0 kWh Strom oder zweimal die Leistung des Kernkraftwerks Mühleberg, respektive bis 2900 Windkraftanlagen.
Da sind die Grünen gefordert, vor allem der GPS-Nationalrat Dr. Bastien Girod, ZH, Vizepräsident Branchenverband Windenergie.
​2’030 Millionen Persone​nkilometer auf der Bahn o​der über 7'250'000 Mal di​e Strecke Bern- Zürich retour
8'845 Mil​lionen Personenkilomet​er im Personenwagen auf d​er Strasse oder 23.2 Millionen Mal die Strecke Genf-Romanshor​n

Zu​​​​​​​​​​wanderer bringen der Schweiz also nicht nur Nutzen, sondern verursachen offensichtlich auch enorme Kosten. Fakt​en, welche von allen ande​ren - ausser der SVP - Parteien gerne versc​hwiegen werden.

Zwische​​​nb​emerkun​​​​​​g:​​
​„​Das​ Bedürfnis wächst dem Angebot nach“
“L’appétit vient en mangeant“

Die Grünen, die verweigern jedem Strassenausbau, ja auch dem Ausbau des SBB-Netzes ihre Zustimmung, indem sie darauf hinweisen, dass jede Beseitigung eines Nadelöhrs, jede Vergrösserung des Transportangebots die Nachfrage nur noch weiter anheize, so dass immer wieder neue Nadelöhre entstehen, immer wieder neue Engpässe in der Transportkapazität des öffentlichen Verkehrs auftreten werden - kurz: kein Ende in Sicht.
Das ist effektiv so, solange die Wirtschaft wächst, was aber kein Dauerzustand ist – zum Glück.
Das lässt sich ändern, in dem die Preise für Benzin und Diesel tüchtig erhöht werden, die Tarife des öffentlichen Verkehrs ebenfalls, aber zurückhaltender.

So​​​​​​​​​ aber ist das auch bei der Zuwanderung.
Und da fehlt den Grünen jegliche Einsicht.
Fazit:
Die Grünen können nicht konsequent logisch denken und deshalb sind sie gefährlich für das Wohlergehen der Gesellschaft.
Aber solche Menschen hat es schon immer geben, sie haben von Himmel und Hölle geredet.

Woher?
Woh​​​​​​​​​e​​r kommen die Bauarbeiter, die 348’00 Wohnungen erstellen?
Woher kommen die 1'744 ÄrztInnen (nur im ambulanten Bereich, d. h. die Spitalärzte sind da nicht inbegriffen)?
Woher kommen die entsprechenden Kranken- / AltenpflegerInnen?
Wo​​​​​​​​​​​her die 5'560 LehrerInnen nehmen?
Woher die Kindergärtnerinnen?
W​​​​​​​​​​​oher das Servicepersonal, woher die Mechaniker für 435'000 Personenwagen?
Woher die Chauffeure für 600 Busse usw. usf.?
Woher die Lokomotivführer, die Tramchauffeure, die Kondukteure, die Rangier-, die Gleisarbeiter, das Schalterpersonal usw. usf.?
Usw., usf.?

Zuwanderer bringen der Schweiz also nicht nur Nutzen, sondern verursachen offensichtlich auch enorme Kosten. Fakt​en, welche von allen ande​ren Parteien gerne versc​hwiegen werden.

Vor allem aber von der Fluri-, Müller-. Gössi-FDP.Die Liberalen, die bei der von ihnen praktizierten „Umsetzung“ der Initiative „Stopp der Masseinwanderung“ eine völlig weiche Tour bot, gehorsam gegenüber den „Einflüsterungen“ von Economiesuisse usw:
Auch Grenzgänger und stellensuchende, nicht in der Schweiz wohnhafte EU-Bürger können sich bei den RAV anmelden und konkurrieren so die Stellensuchenden, die in der Schweiz leben. Anmerkung 4.
Die Schlussabstimmung endete mit 98 Ja- zu 67 Nein-Stimmen bei 33 Enthaltungen:
33 Drückeberger (w./m.) die diesen Verrat am Volkswillen hätten abschmettern können.

Anmerkung 4
16.027 Ausländergesetz. Steuerung der Zuwanderung und Vollzugsverbesserunge​​​​​​​​​​​n bei den Freizügigkeitsabkomme​​​​​​​​​​​n.


Wer etwas gegen diese Entwicklung tun will, muss zuerst den Zustrom immer neuer Menschen, die meisten schlicht auf der Suche nach einem besseren Leben, einschränken.
Das Abstimmungsverhalten aller Parteien ausser der SVP in der ersten Hälfte dieser Legislatur zeigt, dass sie diesen Grundsatz nicht begriffen haben oder einfach nicht begreifen wollen.

Donnerstag, 12. Oktober 2017

Nicole Rütti Ruzicic und Heidi Gmür - beide von der "NZZ" - gewidmet

Nicole Rütti Ruzicic und Heidi Gmür, beide von der "NZZ" gewidmet

Wachstum und Pro­duk­ti­vität - Panikmache mit falschen Zahlen
Gastkommentar von Reiner Eichenberger
"NZZ" vom Donnerstag, den 07.09.2017


Immer wieder berichten Medien und Verwaltungsstellen über drei Probleme der Schweizer Wirtschaft:
  • Die Arbeitsproduktivität sei tief und wachse langsam,
  • das Wachstum des Bruttoinlandprodukts pro Kopf sei tief,
  • und es drohe Deindustrialisierung.​

Grund zur Beunruhigung? Nein!
Die Daten sind irrelevant. Das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) misst die deflationierte Summe aller in der Schweiz produzierten Güter und Dienstleistungen. Daraus wird dann die Arbeitsproduktivität abgeleitet, indem das BIP durch alle geleisteten Arbeitsstunden dividiert wird. Sodann wird für internationale Vergleiche alles mit kaufkraftbereinigten Wechselkursen umgerechnet.

Das ist internationaler Standard – aber für die Schweiz irreführend.
Das langfristige Wachstum von Schweizer BIP und Produktivität ist, in Franken gemessen, tatsächlich tief. Doch das macht nichts. Denn der Massstab Franken wächst ja permanent und stark. Damit wachsen auch der internationale Wert des BIP und somit unsere Konsummöglichkeiten sowie die reale Arbeitsproduktivität.​
Die gängigen Statistiken spiegeln diese Wechselkurseffekte nicht vollauf, obwohl sie deflationiert und kaufkraftbereinigt sind. Denn die Kaufkraftbereinigung wird in aller Regel für ein bestimmtes frühes Stichjahr geschätzt und danach konstant gehalten; so kommt der Fehler in die Daten:
Sie vernachlässigen, dass der Schweizerfranken über die Jahre systematisch aufwertet und so unser BIP an Wert gewinnt. Zur Behebung des Fehlers müssten laufende, jährlich aufdatierte Kaufkraftparitäten verwendet werden. Gemäss solchen Daten der OECD wuchs nach meiner Berechnung das Pro-Kopf-Einkommen in der Schweiz von 2000 bis 2016 um 32,2 Prozent, in Deutschland um 30,9, in Österreich um 25,7, in den Niederlanden um 18,9, in Frankreich um 17,6, in den USA um 15,6 und in Italien um 3,3 Prozent.

Die Schweiz ist also nicht nur eine Wohlstands-, sondern auch eine Wachstumsinsel. Entsprechend stark war auch das Produktivitätswachstu​m.
Auch die offiziellen Daten zum Niveau der Arbeitsproduktivität sind irreführend. Die Produktivität, gemessen als BIP pro Arbeitsstunde, hängt stark davon ab, wer arbeitet.
Je stärker leistungsschwächere Menschen durch Steuern, Abgaben und unsinnige Regulierungen arbeitslos, sozialfällig oder invalidisiert werden, desto höher ist die gemessene gesellschaftliche Produktivität. Entsprechend wird die wahre Produktivität in Ländern mit schlechter Politik überschätzt, in der Schweiz hingegen wird sie unterschätzt.
Wichtig​ ist auch, was als Arbeit gilt. Die Arbeitsstunden von Lehrlingen beispielsweise zählen statistisch als Arbeit, diejenigen von Berufsschülern dagegen nicht. Dementsprechend ist die Arbeitsproduktivität der Schweiz nur schon wegen des dualen Bildungssystems mit Ausbildung auf dem Beruf statt in Schulen um etwa vier Prozent nach unten verzerrt.

Die Diskussion zur Deindustrialisierung leidet ebenfalls an Daten-Unsinn. Denn die Zahl der Industriearbeitsplätz​e nimmt nicht nur ab, wenn Arbeitsplätze aufgehoben oder ins Ausland verschoben werden.
Wichtiger dürfte sein, dass immer mehr Arbeiten, etwa in den Bereichen Reinigung, Verpflegung, Buchhaltung, Steuererklärung, Informatik usw., ausgelagert werden. Wenn solche Funktionen von Industriebetrieben an spezialisierte Anbieter ausgelagert werden, sinkt der Industrieanteil – weil die Jobs vor der Auslagerung als Industrie- und danach als Dienstleistungsarbeit​splätze in die Statistik eingehen.
Manche hoffen, die falschen alarmistischen Zahlen erhöhten wenigstens die Reformbereitschaft.
D​as sehe ich anders: Erstens motivieren falsche Zahlen selten. Viele Bürger spüren den Widerspruch zwischen den falschen Zahlen und der besseren Realität und verlieren das Vertrauen in die Medien und in die amtliche Statistik. Zweitens verleiten die falschen Zahlen zu falschen Schlüssen. So wird die Schuld an dem vermeintlich tiefen Produktivitätswachstu​m regelmässig den «geschützten Binnenbranchen» und vor allem der Landwirtschaft gegeben. Doch der negative Effekt der Landwirtschaft wäre angesichts ihres kleinen Anteils an der Gesamtbeschäftigung von rund drei Prozent im Extremfall – wenn sie keinerlei Wertschöpfung hätte – immer noch kleiner als der Effekt der Lehrlingsfehlrechnung​. [haben Sie das gelesen, Frau Heidi Gmür von der „NZZ“ in Bern?]
Weshalb interpretieren die Medien und viele Experten die Produktivitätszahlen so falsch? Nett gesagt, gerade wegen ihrer hohen Kompetenz. ...

[sehr freundlich gesagt:
Frau Nicole Rütti-Ruzicic und Frau Heidi Gmür, je von der „NZZ“ unterlassen keine Gelegenheit, die wirtschaftliche Situation der Schweiz schlecht zu machen.
Frau Rütti pflegt aus dem geringen BIP-Wachstum abzuleiten, dass es an Zuwanderung fehle.
Frau Heidi Gmür lässt keine guten Faden an unserer Landwirtschaft. Diese ist schuld an der im Vergleich zu Deutschland und den USA geringeren Arbeitsproduktivität.​
Frau Gmür will auf Teufel komm raus die Preise für landwirtschaftliche Produkte senken. Sinken die Preise, dann müssen auch die Löhne sinken – vor allem bei der „NZZ“, die sich der freien Marktwirtschaft verschrieben hat.]


... Sie handeln nach internationalen Standards und lesen die internationale Fachliteratur. Das Problem dabei ist nur, dass weltweit ausser der Schweiz kein Land eine permanent aufwertende Währung hat. Folglich sagt die internationale Literatur nur wenig über die erwähnten Zusammenhänge. Genauso ist auch die gängige internationale Praxis ganz vernünftig – ausser für die Schweiz. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Medien und Amtsstellen vermehrt die schweizerischen Besonderheiten berücksichtigen.

Rein​er Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Forschungsdirektor von Crema.

Samstag, 7. Oktober 2017

Gössi und Bigler von der FDP.Die Liberalen! Na, was macht der FDP-Plan-B zur Altersvorsorge?

Stillschweigen um den „­Plan B“ bei der FD­P.­Die Liberalen!
Die Schweizerinnen und Schweizer wollen nichts wissen vom Frauenrentenalter 65, von der Senkung des BVG-Umwandlungssatzes​ und von 70 Franken mehr AHV im Monat. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk das Rentenreform-Gesetz bachab.
Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV fiel mit 50,05 Prozent Nein durch – bei einem hauchdünnen Mehr von 2357 Stimmen –, wobei das Stände-Nein mit 13½ zu 9½ klarer ausfiel. 
Sieger sind die Bürgerlichen: FDP die Deutschschweizer Wirtschaftsverbände und die SVP.
Diese sind gefordert, den versprochenen Plan B raschmöglichst zu lancieren.

Klare Stellungnahmen:
SP-Pr​äsident Christian Levrat kündigt Widerstand gegen sämtliche Abbauvorlagen an.
CVP-Chef Gerhard Pfister bietet Hand zu einem neuen Kompromiss: will bereits 2019 über eine neue Vorlage abstimmen.
FDP-Präsid​entin Petra Gössis Plan B sieht zuerst die Rettung der AHV vor, dann die Sanierung der zweiten Säule.

Zuerst die AHV, dann die zweite Säule
Die FDP.Die Liberalen hat im Vorfeld von einem Plan B gesprochen, der besser sein soll als die AHV-Reform:
Frauenren​tenalter auf 65,
Mehrwertsteuer zugunsten der AHV um 0,6 Prozent erhöhen.
Bei den Pensionskassen soll der Umwandlungssatz auf 6,0 Prozent sinken.
Um die damit drohende Rentensenkun​g auszugleichen, sollen die Beiträge steigen.

Also werden durch diesen FDP-Plan B die Jungen beschissen.
Das hat FDP-Nationalrat Biglers Gewerbeverband der AHV-Reform-Vorlage vorgeworfen – das ist nun aber auch im FDP-Plan-B der Fall.
Da hat sich gar nichts geändert: Die, die heute im Erwerbsleben stehen sind die beschissenen!
Der Plan B baut damit auf der gescheiterten Reform ​auf, verzichtet aber auf den 70-Franken-AHV-Zustup​f.

SP definiert rote Linien
Klar ist jetzt schon: Auf den Goodwill der Linken kann die FDP – Bigler, Gössi –  nicht zählen. Jegliche Reform ohne Gegenleistungen bedeute einen Rentenabbau und werde frontal bekämpft, kündigt die SP an. 
SP-Chef Chris​tian Levrat (47, FR) nennt drei rote Linie​n:
«Erstens keine Rentensenkungen, zweitens kein Rentenalter über 65 und drittens kein Abbau in der ersten Säule.»
Das bedeutet auch ein Nein zur blossen Erhöhung des Frauenrentenalters. «Rentenalter 65 für alle bedeutet einen Rentenabbau – denn die Frauen erhalten nichts dafür, dass sie ein Jahr länger arbeiten. Das werden wir bekämpfen», droht er.

AHV dreht ins Minus
Doch auch die Linke fürchtet sich vor dem Ruin der AHV. Nach Berechnungen des Bundes sinkt der AHV-Fonds schon 2019 unter 100 Prozent. Das heisst, dass die erste Säule dann weniger als eine Jahresausgabe in Reserve hat. Ohne Reform droht allein im Jahr 2030 ein Sieben-Milliarden-Fra​nken-Defizit. Ohne Gegenmassnahmen ist der AHV-Fonds im Jahr 2031 leer.
Deshalb verlang​t auch die Linke rasche Sanierungsmass​nahmen, aber auf der Einnahmenseite: Die weitgehend unbestrittene Mehrwertsteuererhöhun​g zugunsten der AHV soll schnell wieder auf den Tisch. Aber ohne Verknüpfung mit einem höheren Rentenalter.
Doch lässt sich die Rechte darauf ein? Gössi wagt sich nicht auf die Äste hinaus: «Das muss man in der Diskussion anschauen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich das noch nicht beurteilen.»

«Es darf keine reine Abbauvorlage geben»
Linke und Rechte stehen sich also weiterhin unversöhnlich gegenüber.
Damit kommt nun der CVP die entscheidende Rolle zu. Macht sie mit bei einer bürgerlich geprägten Vorlage ohne linke Zückerchen? «Wir bieten Hand zu Kompromissen. Klar ist für die CVP aber, dass es keine reine Abbauvorlage geben darf», sagt CVP-Chef Gerhard Pfister (54).
Pfister will rasch vorwärtsmachen
 «Wir werden bereits am Montag eine parlamentarische Initiative einreichen, damit die Neuauflage der Reform nicht mehr vom Bundesrat ausgeht, sondern gleich die Parlamentskommissione​n die Arbeit aufnehmen.»
Schliessl​ich liege alles auf dem Tisch und eine neue bundesrätliche Botschaft koste nur unnötig Zeit. 
«Ziel muss sein, bis Ende 2018 eine referendumsfähige Vorlage zu haben», gibt Pfister den Fahrplan vor. «Spätestens 2019 sollten wir wieder abstimmen.»

-> Die CVP hat Wort gehalten: Sie hat am Montag, den 25.09.2017 eine parlamentarische Initiative zum Problem der Altersvorsorge eingereicht.

Pikant​er Nachtrag aus dem „Blick“:Publiziert am 25.09.2017 | Aktualisiert am 02.10.2017
„So suchen Vertreter der Ratsrechten offenbar nach Wegen, damit der AHV trotz Volks-Nein mehr Steuergelder zugutekommen. Die Mehrwertsteuer sinkt nämlich nach dem Nein per Januar 2018 von heute 8 auf 7,7 Prozent. Per Notrecht soll der Bundesrat diese Senkung verhindern, so ein vages Planspiel. Immerhin flössen damit pro Jahr 700 Millionen zusätzlich ins AHV-Kässeli.“

Na, Gössi und Bigler, es ist leicht eine Reformvorlage, die allen etwas abverlangt und den noch nicht im AHV-Alter stehenden etwas gibt („Zückerli“) mit unsachlicher Propaganda (Biglers Schweizer Gewerbeverein) bachab zu schicken.
Aber etwas aufzubauen, das scheinen sie nicht in der Lage zu sein.
Wo ist ihr Plan B?
Gibt man „AHV Plan B“ bei Google ein so finden sich keinerlei Äusserungen der für das Abstimmungs-Debakel verantwortlichen FDP.Die Liberalen den behaupteten Plan B betreffend.

Vollmun​dig hat die „Berner Zeitung“ am 12.08.2017 behauptet:
„Auch der Plan B der FDP sichert die AHV bis 2030“
„Falls die Rentenreform scheitert, muss das Parlament rasch aktiv werden, damit die AHV keine Schuldenberge anhäuft. Die FDP hält einen Plan B ohne AHV-Ausbau bereit.“ sagt FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter.
Also, Frau Karin Keller-Sutter – vorwärts!

Freitag, 6. Oktober 2017

Professor Heinrich August Winklers (Humboldt-Universität Berlin) Kritik ermangelt es der Konsequenzen




«Ich kann vor diesem neuen deutschen Grössenwahn nur warnen»
Auszug aus der „NZZ“ vom Mittwoch, den 04.10.2017,, 0530 Uhr; von Benedict Neff, Berlin

Amerika steckt in der Krise, Europa schlingert und Deutschland erholt sich von der Bundestagswahl.
Der Historiker Professor Heinrich August Winkler mahnt, Deutschland dürfe die Fehler nicht wiederholen, die unter Merkel geschehen sind.

[Letztendlich aber gibt es auch beim Deutschen Winkler keine Alternative zur Frau Merkel und ihre Art zu politisieren.
Denn der grosse Feind ist die AfD; wegen ihr ist eine Korrektur der Merkel’schen Fehler – „die sich nicht wiederholen dürfen“ – nicht möglich.
Das ist die quinta essentia der Winkler’schen Ausführungen.]

«Wir wollen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland»:
Professor Heinrich August Winkler fordert neue Perspektiven für Deutschlands politische Zukunft.

NZZ:
Herr Winkler, der Titel Ihres neuen Buches lautet «Zerbricht der Westen?». Es schien mir bei der Lektüre, dass Sie ein Buch lang fragen, aber nicht antworten. Vielleicht, weil Ihnen die Antwort nicht gefallen würde?
Winkler:
„Die Offenheit ist Absicht. Wer will schon mit letzter Sicherheit sagen, ob die Ära Trump eine Episode bleibt? Ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt sehen wir immerhin: Trump ist nicht Amerika. Ihm steht eine pluralistische Zivilgesellschaft entgegen, eine unabhängige Justiz, unabhängige Medien und die verfassungsdemokratischen Kräfte im Kongress. Amerika hat nicht aufgehört, eine westliche Demokratie zu sein.“

[Der Westen zerbricht nicht wegen Trump. Wenn der Westen zerbricht so wegen der Uneinsichtigkeit der zurzeit agierenden EU-Politiker wie Juncker und Merkel, die meinen, die EU müsse noch zentralistischer ‚von oben nach unten‘ strukturiert werden.]

NZZ:
Sie zitieren in Ihrem Buch den französischen Politologen Jacques Rupnik, der vom «Ende des liberalen Zyklus» schreibt. Was ist stattdessen entstanden, wie würden Sie die Zeit charakterisieren, in der wir leben?
Winkler:
Wir beobachten ein Erstarken illiberaler Kräfte in Ost und West. Nationalpopulistische Protestbewegungen gibt es fast überall in Europa. In den alten westlichen Demokratien sind sie, ausser in den USA, aber noch nirgends an der Macht.
Die Rechtspopulisten richten sich vor allem gegen die Globalisierung im Zeichen der Migrationsbewegungen und des Freihandels“
[wegen der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten].

NZZ:
Sie sehen solche Protestparteien auch als «Reaktion auf den Glaubwürdigkeitsverlust», den westliche Regierungen durch ihre Migrationspolitik erlitten haben. Was hat Deutschland in der Flüchtlingskrise falsch gemacht?
Winkler:
„Ich kritisiere nicht die Entscheidung der Kanzlerin vom 4.September 2015, den in Ungarn festsitzenden Migranten zu helfen.

[Frau Merkel sah sich – völlig abgehoben von der Realität, in der falschen Meinung, sie würde damit weltweit Popularität erhaschen – in den Fussstapfen des früheren deutschen Aussenminister Genscher, der 1989 in Prag den in die Tschechoslowakei eingedrungenen Ostdeutschen verkündete, dass sie in den Westen reisen können].

Winkler: Ich kritisiere, dass diese Entscheidung als deutsch-österreichischer Alleingang zustande kam.

[Kotau vor der deutschen Bundeskanzlerin Merkel.
Es geht natürlich nicht an, effektive oder auch nur behauptete positive Leistungen, Fortschritte Deutschlands der Frau Merkel gutzuschreiben; deutsches Versagen, deutsches Fehlverhalten hingegen „Deutschland“ anzulasten. Denn Deutschland ist eine ‚Bundeskanzler-Demokratie‘, dies erkennt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nach den Bundestagswahlen: Da ist ein Link zum Deutschen Kaiserreich sehr wohl angebracht, denn auch dieses kannte schon ein Parlament.]

Winkler: Deutschland hat sich dadurch in einer Weise isoliert, wie das noch nie der Fall war in der Geschichte der EU.
Ausserdem war es ein grosser Fehler zu behaupten, die deutschen Grenzen seien nicht zu schützen.
Die Parole «Wir schaffen das» verdeckte Schwierigkeiten, die schon im September 2015 zu erkennen waren. Die Kommunen stiessen sehr rasch an ihre Grenzen.
Deutschland aber erweckte lange den Eindruck eines Landes der asylpolitisch unbegrenzten Möglichkeiten.“

NZZ:
Sie formulieren in Ihrem Buch zwei Lehren aus der deutschen Flüchtlingspolitik. Die erste ist eine Absage an die deutsche Überheblichkeit im Zeichen der Willkommenskultur.
Warum ist der moralische Dünkel gerade in Deutschland so populär?

Winkler:
„Es gibt eine Reihe von Zeugnissen aus dem Jahre 2015, die deutlich machen, dass Politiker, Publizisten, Vertreter der Kirchen und der Zivilgesellschaft das Gefühl vermittelt haben, als bestehe jetzt endlich eine Möglichkeit, sich vom Ruf der Schreckensnation des 20.Jahrhunderts zu befreien. Der Tenor war: Wir können unser schlechtes Image loswerden, indem wir moralisch handeln und andern sagen, sie sollten sich gefälligst an uns ein Beispiel nehmen.
Das ist eine neue Form von deutscher Arroganz.
Sie hat bei unseren Nachbarn zu Recht sarkastische Reaktionen hervorgerufen.
Ich kann vor diesem neuen deutschen Grössenwahn nur warnen. So einfach werden wir mit unserer Vergangenheit nicht fertig. Deutschland taugt aufgrund seiner Geschichte nicht zur moralischen Leitnation Europas.“

NZZ:
Ihre zweite Lehre lautet: Keine Alleingänge. Sie sprechen allerdings von einem deutsch-österreichischen Alleingang. Entlasten Sie damit Deutschland nicht sogar ein wenig?

[Natürlich, Winkler wendet alle Kritik von Merkel ab. Schuld war der Österreicher Fymann, der Frau Merkel angerufen hat. Die konnte dann  ja gar nicht anders.]

Winkler:
„Ohne den Telefonanruf von Werner Faymann bei Angela Merkel wäre die überstürzte Grenzöffnung 2015 nicht zustande gekommen.
Ich wundere mich bis heute, warum es nicht möglich gewesen sein soll, sich ein paar Stunden lang strategische Gedanken zu machen und sich mit den EU-Nachbarn abzusprechen.
Ausserdem hätte Merkel bald Vorkehrungen treffen müssen, um ihre Entscheidung durch den Bundestag zu legitimieren.

[Die Legitimation durch den Bundestag wäre nötig gewesen: Es soll in der neuen Legislaturperiode einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema geben. Warten wir ab – der wird ganz sicher verhindert werden.
Denn in Merkel-Deutschland hat der Bundestag nur eine Aufgabe, den Merkel’schen Willen abzunicken. So gesehen ist die fehlende Bundestagsdebatte keine grosse Sache.]

Winkler: Die Bundesregierung [Frau Merkel] hat sich zwar von dieser Politik mittlerweile abgewandt, aber ohne ein Mindestmass an Selbstkritik.
Eine solche Politik ist auf die Dauer nicht glaubwürdig.
Auch im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik sollte gelten: Wir wollen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland.“

[Gibt es in der EU einen Bereich, in dem nicht Deutschland der EU befiehlt? In dem es nicht um ein deutsches Europa geht?].

NZZ:
Man merkt auch jetzt noch: Diese Politik hat Sie geärgert.
Winkler:
„Ja. Ich habe meine Kritik erstmals im September 2015 in einem Grundsatzartikel in der «FAZ» geäussert. Ich sehe mich leider durch die Entwicklungen, die danach eingetreten sind, voll und ganz bestätigt.“

NZZ:
Die USA sind nach der Wahl Trumps in der Krise. Sie schreiben, die EU könnte ein Korrektiv bilden, das den transatlantischen Westen stütze. Sie ist faktisch aber weit davon entfernt. Woran mangelt es?
Winkler:
„Solange es kein normatives Wir-Gefühl mehr gibt, …

[hat es in der EU je ein ‚normatives Wir-Gefühl‘ gegeben? Wann? Was ist das überhaupt. Ein ‚normatives Wir-Gefühl‘?]

Winkler: … kann die EU in den grossen Fragen nicht mit einer Stimme sprechen.
Sie kann allenfalls ein Zweckverband zum Schutz des Binnenmarktes und der Aussengrenzen sein. Damit bleibt sie aber weit hinter dem zurück, was sie bisher angestrebt hat.
Zurzeit ist die EU keine Wertegemeinschaft; in ihr koexistieren liberale und illiberale Demokratien.
Die Vorschläge des französischen Präsidenten Macron werden uns noch intensiv beschäftigen. Sie bieten vielleicht die Chance für einen historischen deutsch-französischen Kompromiss.
Aber am wichtigsten ist: Die liberalen Staaten müssen wieder stärker zusammenarbeiten, um dem Populismus Paroli zu bieten“.

[Heinrich August Winkler ist ein typischer Deutscher, ein Untertan: Er setzt seine Kritiken – siehe oben – nicht in klare politische Forderungen um sondern verbleibt beim Wischiwaschi „des wieder stärker Zusammenarbeitens“. Er müsste in Konsequenz seiner Kritik fordern, dass vor allem Deutschland, konkret die Bundeskanzlerin Merkel ihre Politik grundsätzlich ändern muss. Vereinfacht: Nicht nur „die Sorgen der Bürger ernst nehmen“, sondern für Abhilfe sorgen. Aber solange die abgehobene, unsägliche Frau Merkel festhält, dass an ihrem Kurs, an ihrer Politik nichts geändert werden muss, da sie nichts falsch gemacht hat („F.A.Z.“: „Non, je ne regrette rien“) wird sich die EU-Situation in keiner Weise zum Guten wenden].

NZZ:
Birgt eine Vertiefung der EU, wie sie Macron anstrebt, nicht die Gefahr, sie noch weiter zu spalten? Die Briten sind nicht ausgetreten, weil sie ein «Zuwenig» an Europa vermisst hätten.
Winkler:
„Es darf nicht mehr Europa um den Preis von weniger Demokratie geben.
Der Euro-Frust rührt daher, dass viele Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen wurden.
In der EU findet eine «Verselbständigung der Exekutivgewalt» statt, um einen Begriff von Karl Marx zu verwenden.
Demokratische Einigungsprozesse mögen mühsam sein, aber sie sind wichtig, um dem Gefühl der Entfremdung von der EU entgegenzuwirken.
Europa wird nicht gegen die Nationen und Nationalstaaten vereinigt werden.
Wer wie Robert Menasse oder Ulrike Guérot das Ende des Nationalstaats verkündet, wird genau das Gegenteil erreichen. Ihre Statements zu Europa leisten ungewollt Beihilfe zu nationalpopulistischen Ressentiments.“

[Und, Herr Heinrich August Winkler, die Konsequenzen?]

NZZ:
Für wie wahrscheinlich halten Sie «Jamaica»?
Winkler:
Die Chancen stehen fifty-fifty. Den Konsens zu finden, dürfte in dieser Konstellation schwierig sein. Ob eine Jamaica-Koalition vier Jahre lang halten würde, ist deshalb eine offene Frage. Aber es ist notwendig, den Versuch zu wagen
Scheitert das Projekt, sind Neuwahlen nicht zu vermeiden.“

[Das wäre die Gelegenheit sich der Frau Merkel zu entledigen. Sie hat lange genug „regiert“ und genügend Schaden angerichtet].

NZZ:
Eine Neuauflage der grossen Koalition halten Sie für ausgeschlossen?

[Frau Merkel hat in den letzten vier Jahren sämtliche Trennlinien zur SPD aufgehoben und so diese ausgesaugt; im Endresultat ist sie in der vorletzten Legislaturperiode mit der FDP so umgesprungen – eine Spinne in ihrem Netz].

Winkler:
„Ich halte das nicht nur für extrem unwahrscheinlich, sondern auch nicht für wünschenswert. Denn es ist fast ein Gesetz, dass ein solches Bündnis zum Erstarken der Ränder führt. Käme es noch einmal zu einer grossen Koalition, würden die Union und die SPD wohl weiter krass an Stimmen verlieren; …

[warum, Herr Winkler, warum?]

Winkler: … vermutlich brächten sie in vier Jahren eine Mehrheit im Bundestag gar nicht mehr zustande. Dann wäre die deutsche Demokratie ernsthaft gefährdet“.

[In Deutschland waren in den letzten Jahren die Grenzen was gedacht und gesagt werden konnte enger gezogen als dies einer Demokratie gut tut („NZZ“). Frau Merkel ist ein einer Diktatur sozialisiert worden].
[Auf gar keinen Fall, es gäbe einen grundsätzlichen Wandel von der Bundeskanzler-„Demokratie“ zur Allparteienregierung, mit vermehrten Volksrechten. Aber das scheut das etablierte Deutschland, das immer noch im Schema von oben nach unten denkt und handelt, bei dem die Obrigkeit exakt weiss, was dem Bürger frommt und daher diesem Vorschriften macht, ihn mit Ermahnungen und Belobigungen - Orden und andere Auszeichnungen, öffentliche Belobigungen, wie zu Kaiser Wilhelm II. Zeiten, diesem Versager - auf dem „rechten Weg“ hält].

Winkler:
„Eine nachmalige grosse Koalition wäre ein Förderprogramm für die AfD“

[Hallo Herr Winkler:
Frau Merkels Regierungsstil und Regierungsinhalt hat bei den Bundestagswahlen 2017 bereits als Förderprogramm für die AfD gewirkt:
Bei diesen Bundestagswahlen haben sich 5 Millionen Wählerinnen und Wähler von der GroKo abgewandt und der AfD zugewandt. Aus allen Schichten der Bevölkerung. Neueste schmerzhafte Erkenntnisse: die bürgerliche Mitte hat Frau Merkel verlassen].


Heinrich August Winkler ist emeritierter Professor für neueste Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.
Sein jüngstes Buch trägt den Titel: «Zerbricht der Westen? Über die gegenwärtige Krise in Europa und Amerika».

Bundestagswahlen 2017: Warum ist die AfD im Osten die stärkste oder zweitstärkste Partei?

"Deutschlands alte Wun­den bre­chen wieder auf"
„NZZ“ vom Donnerstag, 28.09.2017, 07:00 Uhr; von Christoph Eisenring, Berlin;
Link (gute Grafiken): https://www.nzz.ch/wi​​​​rtschaft/deutschla​n​d​s​-alte-wunden-br​ec​he​n-​wieder-auf-l​d.1​318​875​ .

[Meine Sicht:
Bei der Wende stürzte sich Westdeutschland – Politiker, Ehrgeizlinge, „Goldgräber“ und Wirtschaftsleute  wie die Heuschrecken auf Ostdeutschland und zerlegten es in kürzester Zeit. Die Filetstücke wurden in Besitz genommen oder versilbert, das Geld floss in den Westen. Die politisch, wirtschaftlich entscheidenden, die lukrativen Posten wurden von Westlern besetzt.
Bei den ersten freien Wahlen gewann die CDU haushoch. Doch mit der Zeit erkannten die Menschen im ehemaligen Ostdeutschland, dass sie vom „demokratischen“ Westen über den Tisch gezogen, ja ausgeraubt worden sind.]

NZZ:
Die AfD hat in Ostdeutschland gut jede fünfte Stimme geholt. Sehr stark war sie in Randregionen, aber auch in Städten wie Dresden und Leipzig. Der Ökonom Joachim Ragnitz hat dazu schlüssige Erklärungen.
Geht ein neuer Riss durch Deutschland? Die Alternative für Deutschland (AfD) hat in den ostdeutschen Bundesländern 21,5% der Stimmen geholt. Im vergleichsweise wirtschaftsstarken Sachsen mit seinen Boomstädten Dresden und Leipzig errang sie mit 27% sogar einen Hauch mehr Stimmen als die staatstragende CDU und ist damit stärkste Partei. Diese Resultate machen deutlich, dass Ost und West selbst nach 27 Jahren immer noch nicht so stark zusammengewachsen sind, wie man sich das im politischen Berlin gerne einredet. Die Wende habe zu Verletzungen geführt, die bei vielen nicht verheilt seien, sagt der Ökonom Joachim Ragnitz, der am Ifo-Institut Dresden arbeitet und seit 1994 in Ostdeutschland zu Hause ist.

Verlängerte Werkbank
Gewiss, die grundlegenden ökonomischen Daten sehen nicht schlecht aus. Die Arbeitslosenquote in den ostdeutschen Bundesländern hat sich von 18,7% im Jahr 2005 auf 8,5% im letzten Jahr zurückgebildet, die Lebenszufriedenheit zwischen den Landesteilen hat sich angenähert (siehe Grafik). Wer jung und gut qualifiziert sei, könne im Osten durchaus Löhne auf Westniveau aushandeln, erklärt Ragnitz. Aber im Schnitt liegt das Lohnniveau immer noch über 20% unter demjenigen im Westen. Ostdeutschland fehlen etwa die Hauptsitze von Konzernen mit ihren zentralen Diensten und Forschungsaktivitäten​​​​. Es ist oft noch immer die verlängerte Werkbank für westliche Firmen.
Auch wenn es in Ostdeutschland wenig Ausländer hat, fühlt man sich von der Flüchtlingsmigration in der Lebensweise und in der Arbeitswelt bedroht. Man habe Vorbehalte gegen «Multikulti», wie sie Anfang der 1970er Jahre auch Westdeutschland geprägt hätten, erzählt der 56-jährige Forscher. Da die Flüchtlinge vor allem für einfachere Jobs geeignet sind, werden sie gerade von schlecht Qualifizierten als Konkurrenz gesehen, was nachvollziehbar ist.
Dazu komme generell das Gefühl der Benachteiligung, das viele ältere Ostdeutsche empfänden. Es nährt sich aus drei Quellen.
Erstens haben sie nach der Wende oft einen Bruch in ihrer Biografie erlebt. So sei die Haltung weit verbreitet, dass die Treuhand, die die DDR-Wirtschaft privatisieren sollte, viele Betriebe «platt» gemacht habe. Der Groll ist laut Ragnitz in einigen Fällen berechtigt, oft aber auch ein Mythos. Der Hauptgrund für den Zusammenbruch war letztlich die geringe Leistungsfähigkeit der DDR-Betriebe.
Zweiten​​​​s gibt es Regelungen, die von Ostdeutschen als unfair empfunden werden. Ragnitz nennt als Beispiel die Entschädigungsfrage bei Enteignungen. Während Bewohner der DDR vom SED-Regime oft mit Brosamen für die Verstaatlichung von Eigentum abgefunden wurden, hätten im Westen lebende Personen nach der Wende ihr Eigentum zurückerhalten. Für Ressentiments sorgt auch, dass überproportional viele «Wessis» in Wirtschaft, Verwaltung oder Medien an Schaltstellen sitzen. Laut einer Studie beträgt etwa der Prozentsatz Ostdeutscher an den Führungskräften in den neuen Bundesländern nur 23% – bei 87% Bevölkerungsanteil.
D​​​​rittens: Mindestens so wichtig als Erklärung ist gerade in Sachsen der Kontrast zwischen Boomstädten und den Randregionen, die von Abwanderung geprägt sind. Entsprechend bleiben viele ältere Bewohner zurück. Oft gibt es einen Männerüberschuss, weil etliche Frauen nach der Wende ihr Glück im Westen versuchten. Parallel mit dem Bevölkerungsschwund hat sich die «Daseinsvorsorge» verschlechtert. Die Schliessung der Kinderklinik und des Amtsgerichts wird als Grund dafür gesehen, weshalb die AfD auf der Insel Usedom in Mecklenburg-Vorpommer​​​​n so viele Stammwähler hat.

Der Demokratie wird misstraut
Ragnitz findet es zwar richtig, dass man die Infrastruktur der Grösse der Bevölkerung anpasst. Mobile Ärzte, die in die Dörfer kommen, oder Busse für die Schüler könnten das Problem mindern. Doch bei Einrichtungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sei der Abbau übertrieben worden, ist der Forscher überzeugt. Dies gelte gerade auch für Grenzgebiete im Osten, die von bandenmässigem Diebstahl betroffen seien.
Eine Aufgabe habe die Bundesrepublik völlig unterschätzt, betont der Ökonom. Man habe gedacht, die Ostdeutschen wollten schnell Wohlstand erlangen und würden die demokratischen Gepflogenheiten rasch erlernen. Doch so einfach sei das nach vierzig Jahren Kommunismus und Indoktrination über den Feind im Westen nicht gewesen. Die Heranführung an die Demokratie sei vernachlässigt worden, was sich jetzt räche, sagt er.
Was kann man da heute noch tun? Nicht allzu viel, räumt Ragnitz ein. Die Politik solle den Leuten aber zuhören, die nach der Wende Kränkungen, Frustration und Ungerechtigkeiten erlebt hätten. Er verweist auf die sächsische Integrationsministeri​​​​n Petra Köpping, die durch das Land reist, um die Unzufriedenheit zu verstehen. Die Sozialdemokratin fordert, die Tätigkeit der Treuhand ehrlich aufzuarbeiten. Durch die Treuhand sei ein Misstrauen zurückgeblieben, ob bei der Wiedervereinigung alles mit rechten Dingen zugegangen sei, sagte sie kürzlich gegenüber der «Leipziger Internet-Zeitung». Dieses Misstrauen hat sich zum Teil auf das demokratische System übertragen.
[Frau Köpping sieht völlig klar - auch hier: wenige bereichern sich auf Kosten vieler].